Die Einsamkeit ist eine immer wieder kehrende Thematik im Œuvre von Sandro Soravia, einem erzählenden, echten, einfachen aber nicht oberflächlichen Künstler, einem bangen Dichter der unmöglichen Kommunikation, der für die Massengesellschaft Mitleid empfindet. Er analysiert den menschlichen Zustand, aber seine Auffassung ist nicht dramatisch, sondern er veranschaulicht eine individuelle Situation, die allerlei Unterschiede (sozialer oder ethnischer Herkunft, die Generationen oder anderes betreffend) auf Null einstellt.

Sein Œuvre ist eine bewusste Anklage gegen den extremen Individualismus unserer Zeit, nunmehr eine endemische, unterschiedslose Erscheinung. Nach Soravia sind die Menschen immer allein, sei es, daß sie in Heeren zusammenkommen, oder daß sie trostlos im Weltraum ziehen.

In dichten Scharen marschieren sie ziellos; zwecklos drehen sie sich im Kreis; jedes Individuum ist vom Nächsten durch die eigene Unfähigkeit getrennt, zu kommunizieren. Die Massen verfügen jedoch über wirksame Verbände und Organisationen, die der Künstler durch reine Zylinder, Pyramiden, Würfel, Kegel symbolisiert – beruhigende Formen von “vollkommenen” geometrischen Körpern – auf denen sich die Gruppen aufrechthalten, die sich anscheinend in gut bestimmten Marschschemen ordnen, aber immer wieder, zwecklos, unveränderlich denselben Weg zurückgehen. Die kleinen, Bronze- oder Keramikgestalten, die Soravia zu Tausenden ausgeführt hat, sind Typen, die, wenn auch untereinander unterschiedlich, einen “Standard” darstellen. Ihr Verhalten ist aber ohne Sinn.

Sie gehen aus Räumen ohne Eingang, deklamieren von der Höhe steiler Felsen, reihen sich in kreischenden Zügen ein, gestikulieren ziellos, sprechen, ohne sich zuzuhören.

Soravia fürchtet nicht, seine Poetik bis zu den Grenzen der Naivität zu treiben. Das Risiko lohnt sich, weil er eine prompte und unmißverständliche Deutung seiner beliebten Themen erreicht. Der orphische, geheimnisvolle Hintergrund seiner Bilder ist immer unmittelbar wahrzunehmen: deutliche Erscheinungen einer ganz einfachen Ideologie, während die Themen des Künstlers grundlegend und allgemein sind. In seinen Werken liegt nichts Hermetisches, außer die verführerische Einfühlung, die sie ausströmen. Wenige Künstler besitzen eine so starke Fähigkeit, heiter und schlicht den menschlichen Zustand zu veranschaulichen, einen so tiefgehenden Sinn des Mitleidens und der Anteilnahme, und wenige können so wesentlich, “einfach” und überzeugenderweise die Daten einer Analyse aufstellen, die doch eine gewisse Skepsis, aber keine Spur Rethorik oder Moralismus aufweist.

Wesentlichkeit und Einfachheit der technischen Mittel sind in Soravias Poetik ausschlaggebend, denn er verbirgt seine Geschicklichkeit: man denke nur an die außerordentliche Fingerfertigkeit, die die Genauigkeit und die Ausdrucksfähigkeit seiner kleinen, ca. zwei Zentimer grossen Menschen, die ein unglaubliches Können der Durchführung ahnen lassen. Und man glaube nicht, daß Soravias Einbildungswelt leicht durchführbar ist. An seinen Arbeiten sind die scheinbare Natürlichkeit und die Unmittelbarkeit des Ausdrucks sehr angenehme Aspekte. Aber ein scharfsichtiger Beobachter nimmt auch die technische Kühnheit und die Genauigkeit des Künstlers wahr, sei es, daß er die Bronze schmilzt, sei es, daß er im Rahmen seiner erstaunlichen Fachkenntnis als Keramiker wirkt. Aber hier handelt es sich um eine Ausführungswahl, die mit der Poetik zusammenhängt. Seine Welt drückt sich in sehr kleinen Dimensionen aus, seine Gestalten sind miniaturisiert und, wie gesagt, sie zu modellieren und zusammenzusetzen setzt eine außerordentliche Tastempfindlichkeit voraus. Alles das macht aber Themen und Gefühle weniger emphatisch, obwohl sie sicher dramatisch, ja, sogar apokalyptisch und tief bewegend sind. Wenn sie aber aus einer Entfernung von wenigen Zentimetern ganz klein und belanglos erscheinen, so können sie jedoch epische und tragische Gemütsbewegungen vermitteln: fast ein Ameisenkrieg, auf den man nur achtgibt, wenn man auf einer Wiese liegt und zufällig seinen Ablauf beobachtet. Wobei der Blick der Bewegung des einzelnen Teils sowie des Ganzen folgen kann.

Vielleicht will Soravia suggerieren, daß die ungeheueren Massentragödien oder die Existenzdramen der Einzelnen die gleiche, oder vielleicht keine Bedeutung vor der Natur haben: denn die Natur ist beiden gleichgültig. Aber vielleicht weist die Ausführung in so entschieden kleinen Dimensionen auch auf das Anliegen hin, den künstlerischen Gestus zu entschärfen und ihn zu seinen ursprünglichen handwerklichen Wurzeln zurückzuführen, der Kunstsprache Heiligkeit abzunehmen, indem man einen inneren, rituellen, tief subjektiven Grund wiederfindet, das Stentorelement abschafft und durch die plastische Sprache der Skulptur die strukturelle, monumentale Verdammung ableugnet. Man soll doch anerkennen, daß einige Werke von Soravia trotz der wenigen Zentimeter in den drei Dimensionen entschieden monumental aussehen. Über jede andere Bemerkung hinweg steht es jedenfalls fest, daß Soravia ein ungewöhnlicher Autor ist, ein Einzelgänger gegen den Strom, der auf zwerghafter Skala großartige Werke schafft. Er ist aber auch ein melancholischer Erzähler von einsamen Aufführungen in kleinen, leeren Theatern, ein Sänger von still fliegenden Möwen, ein bitter belustigter Beschwörer von menschlichen Haltungen und Gebärden, von Schweigen und Taubheit.

Und aus diesen unerforschlichen Entfernungen, die in Malthusvermehrung immer dichter aneinanderstehende Menschen trennen, gibt der Künstler die Widersprüche, die Absonderung und die träge Annahme einer Standardisierung an, die jede Eigenartigkeit vernichtet. Solche Erscheinungen führen die Menschen zum melancholischen Schluß, daß die numerische Progression zwischen den Planeteneinwohnern und dem technologischen Erfolg sie immer einsamer machen und in Widerstreit mit der Umwelt und den Mitmenschen stellen. Im Erzählkunst von Sandro Soravia tauchen alle diese Aspekte deutlich hervor, das Bild weist aber keineswegs auf eine Ausdrucksfeierlichkeit hin, obwohl die Überzeugungskraft seiner Poetik sehr stark wirkt. Sandro Soravia ist also ein leiser “Wahrheitssager”, und nach Leonardos Worten “Nur die Wahrheit war Tochter der Zeit”. Anders als die meisten Künstler der Plastik war die Anlage Soravias zur Farbe immer besonders wichtig, sei es als Keramiker-Bildhauer, sei es umgekehrt. Das hat ihn neulich zu einer parallelen aber nicht ersetzenden Produktion als Maler geführt. Seine Gemälde besitzen einen autonomen Wert, auch wenn sie die Ähnlichkeit und die poetische Aura seiner Keramiken und Skulpturen aufbewahren. Wesentlich lassen sie die Ausbildung und der kulturelle Hintergrund ahnen, aus denen seine Ausdrucksforschung sich seit den Anfängen entwickelt hat. In den Gemälden ist die metaphysische Atmosphäre noch betonter und drückt sich deutlich durch ihre unverkennbare, stille Melancholie aus. Die Aufführung ist eine Pantomime mit einer einzigen Person; die Fiktion eines unendlichen Raums wird manchmal sogar unterstrichen und läßt die Struktur erkennen, die die Bühne selbst trägt. Hier werden Himmel beleuchtet, die fast an Magritte erinnern könnten, würden sie nicht ein Mittelmeerlicht widerspiegeln.

Und die Gleichnisse des kleinen “Masse-Menschen” erweichen sich angesichts der Großartigkeit der Natur. Hier taucht es deutlich hervor, daß Soravia schließlich kein moralistisches Anliegen hat; vielmehr erzählt er mit banger Zuneigung die eigene Stellungnahme zur Seite von diesem kleinen Menschen, von diesen winzigen, ahnungslosen Heeren, oder vielleicht staunt er über das sonnige Erscheinen eines Baums oder die blendende Herrlichkeit eines Himmels, unter dem man auch Ringelreihen organisieren und glücklich sein kann, obwohl man ein niemand ist. Viele Ethiklehrer behaupteten, daß Einfachheit ein relevanter Teil des Glücklichseins ist; zweifellos hat die Kunst von Soravia eines seiner möglichen Bilder erkannt.

Renzo Margonari – Kunsthistoriker.